Die Verordnungsköche des Gesundheitsministeriums servieren ein Spezialmenü. Weinbegleitung wäre hilfreich.
COVID-19-SchuMaV also heißt die neue Abkürzung, die wir uns jedenfalls einmal bis Ende November merken müssen. COVID-19-SchuMaV, wie COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung. Sie tritt am 3. November in Kraft und bringt, wie mehrfach angekündigt, vielfältige Einschränkungen – diesmal auch für Vereine, die mit der letzten COVID-19-Maßnahmenverordnung ja noch irgendwie leben konnten, waren gemäß deren § 10 Abs. 11 Z 6 Zusammenkünfte von Organen juristischer Personen doch von den für Veranstaltungen geltenden Restriktionen ausgenommen. Das ist jetzt anders.
Zum einen sind nun Veranstaltungen generell untersagt (§ 13 Abs. 1). Das gilt natürlich auch für von Vereinen durchgeführte Veranstaltungen (ausgenommen Sportveranstaltungen im Spitzensport, für die es in § 14 spezielle Regeln gibt). Die Definition von Veranstaltungen ist gleich geblieben, das sind „insbesondere geplante Zusammenkünfte und Unternehmungen zur Unterhaltung, Belustigung, körperlichen und geistigen Ertüchtigung und Erbauung“, wozu jedenfalls „kulturelle Veranstaltungen, Sportveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Geburtstagsfeiern, Jubiläumsfeiern, Filmvorführungen, Fahrten mit Reisebussen oder Ausflugsschiffen zu touristischen Zwecken, Ausstellungen, Kongresse, Fach- und Publikumsmessen und Gelegenheitsmärkte“ zählen.
Und zum anderen sind nun nicht mehr Zusammenkünfte von Vereinsorganen (Mitgliederversammlung, Leitungsorgan, Beirat, Aufsichtsorgan etc.) generell von der Regelung für Veranstaltungen (die sich ja jetzt in der lapidaren Ansage „sind untersagt“ erschöpft) ausgenommen. Und da wird es auch schon wieder lustig (sofern einem das Lachen nicht ohnehin schon vergangen ist): § 13 Abs. 3 nimmt von dieser generellen Untersagung einige Arten von Veranstaltungen aus, und in Z 6 „unaufschiebbare Zusammenkünfte von statutarisch notwendigen Organen juristischer Personen, sofern eine Abhaltung in digitaler Form nicht möglich ist“.
Wie man in 17 scheinbar harmlose Wörter so viele Unklarheiten hineinpacken kann, muss jemand den Juristen des Gesundheitsministeriums erst einmal nachmachen. Es beginnt schon mit „unaufschiebbare Zusammenkünfte“. Ich habe noch keine Zusammenkunft von Vereinsorganen erlebt, die man nicht auch hätte aufschieben können. Die Frage ist nur, mit welchen Folgen. Gemeint sind wahrscheinlich Zusammenkünfte, deren Verschiebung für den Verein schwerwiegende – oder zumindest nachteilige – Folgen hätte. „Unaufschiebbar“ in diesem Sinn wird jedenfalls eine Mitgliederversammlung sein, die aufgrund ablaufender (oder schon abgelaufener) Funktionsperiode des Leitungsorgans (Vorstands) neu wählen sollte. Aber Mitgliederversammlungen haben ja auch noch anderes zu tun: Was bedeutet diese Vorschrift für den Beschluss des Budgets 2021? Was für eine aus Gründen der Gemeinnützigkeitserhaltung dringend notwendige Statutenänderung, für die Genehmigung eines wichtigen Projekts oder für die Wahl anderer Organe? Endlich kann man an dieser Stelle wieder einmal die beliebteste aller Juristenantworten anbringen: Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an.
Nächste Frage: Was ist ein „statutarisch notwendiges Organ“? Die Antwort ist einfach: ein Unding. Warum schreibt man nicht einfach (wie bisher) „Zusammenkünfte von Organen juristischer Personen“? Statuten (oder Gesellschaftsverträge) geben doch keine „Notwendigkeiten“ vor, sondern sagen klipp und klar, welche Organe die juristische Person hat. Sind „statutarisch notwendige Organe“ solche, die die juristische Person haben sollte, aber nicht hat? Ein Organ, das man nicht hat, kann eh nicht zusammentreten, also was soll‘s? In Wahrheit ist aber doch jedes Organ, das in den Statuten genannt wird, für den konkreten Verein ein „statutarisch notwendiges“ Organ (abgesehen von bloß fakultativen Organen, die noch nicht eingerichtet sind).
„Sofern eine Abhaltung in digitaler Form nicht möglich ist“. Ein weiteres Rätsel. Hat das einen bestimmten Grund, warum man nicht einen klitzekleinen Blick in das Gesellschaftsrechtliche COVID-19-Gesetz und die Gesellschaftsrechtliche COVID-19-Verordnung wirft? Man muss dazu ja nicht den gewiss beschwerlichen Weg vom Gesundheitsministerium am Stubenring ins Justizministerium im Palais Trautson, von dem diese Normen stammen, auf sich nehmen, ein Blick ins RIS (Rechtsinformationssystem des Bundes) würde schon reichen. In diesem Gesetz nämlich ist die Rede von Versammlungen „ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer“, und die Verordnung definiert solche Versammlungen als „virtuelle“. Kann man nicht bei einer einheitlichen Terminologie bleiben? Sind nun die Begriffe „digital“ und „virtuell“ synonym? Nehmen wir das in diesem Zusammenhang einmal an. Weiter im Text: Unter „nicht möglich“ wird der Fall zu verstehen sein, dass nicht allen Organmitgliedern (bei der Generalversammlung also den teilnahmeberechtigten Vereinsmitgliedern) eine virtuelle Teilnahme möglich ist, sei es aus technischen Gründen oder mangels Beherrschung der entsprechenden Technik. In diesem Fall wird dann eine virtuelle Durchführung auch gar nicht zulässig sein, da gemäß § 2 Abs 3 der zitierten COVID-19-GesV bei der Entscheidung, ob eine virtuelle Versammlung durchgeführt werden soll, sowohl die Interessen der Gesellschaft als auch die Interessen der Teilnehmer angemessen zu berücksichtigen sind.
Wenn aber der Verordnungsgeber nun offenbar will, dass Vereinsversammlungen nur mehr in echten Ausnahmefällen stattfinden, warum spricht er nur von der Unmöglichkeit der „Abhaltung“ in digitaler Form? Es wäre doch konsequent, hätte er da auch die bloße Beschlussfassung in Form einer schriftlichen Abstimmung mit hineingenommen, sodass eine physische Zusammenkunft nicht nur dann zulässig ist, wenn eine „Abhaltung in digitaler Form“ nicht möglich ist, sondern nur, wenn außerdem eine Beschlussfassung in schriftlicher Form auch nicht möglich ist. Aber dazu hätte man ja schon wieder in die Verordnung von diesem anderen Ministerium hineinschauen müssen. „Wann i a Biachl siach, hob i scho gfressn“, soll der legendäre Wiener Kommunalpolitiker Hermann Bielohlawek, enger Mitarbeiter des Bürgermeisters Lueger, gesagt haben. Vielleicht geht es manchen ja auch mit Verordnungen so.
Wie auch immer – was heißt das alles nun für einen Verein? Wenn‘s ganz dringend ist, und die Versammlung nicht virtuell abgehalten werden kann, dann darf man auch physisch zusammenkommen. Dass der Verein dabei Verantwortung für die Gesundheit seiner Mitglieder hat, ist ohnehin klar, er wird also alle erforderlichen Maßnahmen treffen müssen. Ein Tipp: Wenn nur ein Teil der Mitglieder virtuell mitmachen kann, und es weniger ums Diskutieren als um dringend notwendige Beschlüsse geht, kann man ja die virtuelle Beschlussfassung (oder Wahl) mit einer schriftlichen Abstimmung (per E-Mail und/oder Post) kombinieren. Für Details: in die Gesellschaftsrechtliche COVID-19-Verordnung schauen.
Und der Vollständigkeit halber: Zusammenkünfte von Organen politischer Parteien, nicht nur die unaufschiebbaren, gelten in keinem Fall als Veranstaltungen, sind also nicht untersagt. Das verstehen wir auch, ist doch alles „unaufschiebbar“, was politische Parteien organmäßig so tun.
Und weil wir schon bei der Vollständigkeit sind: Keine Veranstaltungen (und daher nicht untersagt) sind gemäß § 13 Abs. 3 Z 4 auch „Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz“ (wobei die Teilnehmer Maske tragen müssen – und nicht Gesichtsschild, das ist jetzt pfui, weil nicht enganliegend). Hm. Hat da schon wieder jemand nicht in einem anderen Gesetz geblättert? Im Vereinsgesetz, in diesem Fall, dessen § 10 an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt: „Für Versammlungen, die von einem Verein abgehalten werden, gilt das Versammlungsgesetz … mit der Maßgabe, dass die Mitglieder des Vereins als geladene Gäste gemäß § 2 Abs. 1 dieses Gesetzes anzusehen sind“ (weswegen solche Versammlungen nicht 48 Stunden vorher der Behörde angezeigt werden müssen). Also sind Vereinsversammlungen solche nach dem Versammlungsgesetz. Also keine Veranstaltungen! Also nicht untersagt! Aber wie verträgt sich das dann mit der Z 6, mit der wir uns oben herumgeschlagen haben? Was gilt jetzt? Der methodisch geschulte Jurist hat auch hier eine Antwort: Z 6 steht zu Z 4 in einem Spezialitätsverhältnis, Z 4 ist also die speziellere Norm und geht daher vor. Na hätten’s des net glei sogn kennan? Oder mit den nobleren Worten unseres stets eleganten Verfassungsgerichtshofs: „Es soll nicht von vornherein in Abrede gestellt werden, dass es möglich ist, solche Zweifelsfragen durch umfassende Analyse der in Prüfung stehenden Bestimmung im Kontext der gesamten Verordnung letzten Endes doch zu klären. Es scheint aber, dass nur mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und einer gewissen Lust zum Lösen von Denksport-Aufgaben überhaupt verstanden werden kann, welche Anordnungen hier getroffen werden.“ Na ganz so schlimm ist es nicht. Was nicht heißt, dass puncto legistische Qualität auch diesmal noch ein wenig Luft nach oben ist.
Aber damit hier nicht nur herumgemeckert wird: dieser Verordnungsgeber denkt wirklich an alles, insbesondere in § 15 Abs. 3. Dort heißt es nämlich: „Die Pflicht zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden und eng anliegenden mechanischen Schutzvorrichtung gilt nicht während der Konsumation von Speisen und Getränken.“ Danke. Wobei – der Maskenindustrie hätte das schon gefallen, wenn wir samt den Nudeln jedes Mal auch die Maske gemampft hätten!